Laurenz Lütteken
Musik der Renaissance
Imagination und Wirklichkeit einer kulturellen Praxis
Laurenz Lütteken
Musik der Renaissance
Imagination und Wirklichkeit einer kulturellen Praxis
- Compositor Laurenz Lütteken
- Editorial Bärenreiter Verlag
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Descripción de la:
Bislang wurden kunstgeschichtliche Gesamtdarstellungen der Renaissance zumeist ohne Berücksichtigung der Musik verfasst. Laurenz Lütteken behandelt in seinem Buch die Musik als substantiellen Bestandteil der Renaissance und fügt sie in eine umfassende Kulturgeschichte ein. Er skizziert die Merkmale dieser Epoche, beschreibt den Ort der Musik im System der Künste, vergleicht musikalische Denk- und Handlungsformen mit denen der Malerei, Literatur und Philosophie und erläutert die sozialen und politischen Zusammenhänge, in denen sich Musiker, Komponisten und Musiktheoretiker bewegten. Dabei entsteht ein faszinierendes Panorama einer Zeit, in der vieles, was uns heute selbstverständlich erscheint, erst 'erfunden' wurde: die Person des Komponisten im engeren Sinne, bestimmte Formen musikalischer Schriftlichkeit und Erinnerungskultur, regulierte musikalische Institutionen oder eine komplexe, in einem subtilen System von Gattungen organisierte Mehrstimmigkeit. Viele Abbildungen, Notenbeispiele, ein Glossar, der Verzicht auf einen aufwändigen Apparat und eine allgemein verständliche Darstellungsweise machen das Buch, das sich an Interessierte aller historischen Disziplinen richtet, für Leser weit über den Kreis der Fachleute hinaus attraktiv. 'Renaissance der Renaissance: Die Musik des 15. und 16. Jahrhunderts findet ein immer größeres Publikum. Dieses 'zentrale Segment' der Alten Musik ist im Konzertleben allenthalben gegenwärtig und auf ca. 5.000 CDs präsent. Das vorliegende ist das erste von einem Wissenschaftler geschriebene Buch über die Renaissance (der Autor ist seit 2001 Ordinarius für Musikwissenschaft an der Universität Zürich), das sich aber auch dem 'interessierten Laien' zuwenden - und zwar mit Erfolg, denn zur Lektüre ist nur ein minimaler musikalischer Grundwortschatz notwendig. Freilich verlangt das Lesen höchste Konzentration. Aber wenn man sie leistet, kann man auf einmal nachvollziehen, was Johannes Tinctoris mit dem Satz meint: 'Der vollkommene Musikgenuss besteht aus vollkommenem Musikverstehen' (um 1470). Die vorliegende Verbindung von wissenschaftlicher Präzision und 'Allgemeinverständlichkeit' sollte zu einem publizistischen Maßstab werden.'Schlüsselkompositionen', deren Bekanntheit man bei einiger Hörerfahrung mit Alter Musik eigentlich voraussetzen kann, werden durch Notenbeispiele dokumentiert. Solche sind im Musikverlagswesen beklagenswerterweise nicht mehr selbstverständlich. Der Autor verzichtet bei der Besprechung der Werke auf die Erörterung von musiktheoretischen Spezialfragen und verbalisiert nur das unmittelbar 'Hörbare' in einer Weise, dass Verständlichkeit auch für den Nicht-Musikologen absolut gewährleistet ist. Besonders wichtige Werke werden übrigens an mehreren Stellen aus unterschiedlicher Perspektive besprochen. Die Werkauswahl selbst erscheint quantitativ bewusst begrenzt, so dass der interessierte Hörer gezielt seine Diskothek entsprechend ergänzen kann. Alle behandelten Werke sind auf CD verfügbar.Epoche ohne Musik ist das erste Kapitel überschrieben: Es gibt in der Tat mehrere Versuche, den Epochenbegriff Renaissance aus der Musikgeschichtsschreibung zu tilgen. Lütteken beschreitet den entgegengesetzten Weg, indem er die Musik der Renaissance sogar als eine 'Kulturgeschichte eigenen Rechts' versteht, an deren Beginn im frühen 15. Jahrhundert das 'kontrolliert vorausgeplante', 'mit allem Nachdruck die Eigenheiten des Unverwechselbaren in sich tragende musikalische Kunstwerk' steht. Dabei wird die Entwicklung der Musik im 15. und 16. Jahrhundert stets in Relation zu den bildenden Künsten (mit ihrem greifbaren Antiken-Bezug) dargestellt.Musik und 'Wiedergeburt' der Antike. Hier gilt schlicht: 'Die Musik der Antike war endgültig verstummt'. Lütteken weist jedoch überzeugend nach, dass im frühen 15. Jahrhundert 'antike Denkformen der Rhetorik' und eine durch die Aristoteles-Lektüre verursachte 'empirische Wirklichkeitswahrnehmung' eine bemerkenswerte Neuausrichtung der Musik bewirken: Musik wird zum akustischen Ereignis, das Werk wird 'auf das Hören ausgerichtet'. Musik werde 'vor Zuhörern produziert' und wende sich an diese, um sie 'durch Musik' zu überzeugen. Darüber hinaus habe das Hören selbst Einfluss genommen auf die musikalische Komposition, etwa bei der Entstehung des 'neuen Konsonanzdenkens' mit seiner Vorliebe für Terzen und Sexten nach 1400 und dem Verfahren, Dissonanzen vorzubereiten und aufzulösen, das das 14. Jahrhundert so nicht kennt.Der Kontrapunkt, der räumliche Aspekt der musikalischen Komposition, ein Gefüge von gleichberechtigten Stimmen von grundsätzlich vokaler Prägung, ist für alle Gattungen verbindlich und determiniert musikimmanent die Epoche als solche. Dadurch dass der Hörer - als 'Fluchtpunkt des musikalischen Geschehens' - die Einzelstimmen wieder zusammenfügt, eröffnet sich - so Lütteken - in der Musik eine Analogie zur Zentralperspektivein der Malerei (als einer genuinen Erfindung der Renaissance).Das Buch vermittelt ein immens facettenreiches Bild der Musik der Renaissance. Man ist als Leser besonders fasziniert davon, mit welcher 'Virtuosität' Lütteken Querverbindungen zwischen den einzelnen Aspekten nachweist. Um einige zu benennen: die Entwicklung der Notenschrift und die damit verbundenen rhythmischen Prinzipien, die Differenzierung musikalischer Gattungen seit 1400, Handschrift und Druck als Formen der Schriftlichkeit, das Wechselverhältnis von Theorie und kompositorischer Praxis ('Denken über und in Musik'), die Emanzipation der Instrumentalmusik. Das Buch ist natürlich weit mehr als eine Einführung in die Musikgeschichte der Renaissance, aber verbunden mit dem hervorragenden Glossar im Anhang durchaus als solche nutzbar.' (Bernhard Morbach 14.9.2011 • RBB, Kulturradio am Morgen)